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Sonntag, 6. Juni 2010

Die »30« klopft an meiner Tür!

Der 2te Oktober war da und er fing schon blöd an. Ich packte wie immer meine Sachen in der letzten Minute und war voll im Stress. Im Radio wurde dauernd von dem Megastau vor dem Tunnel berichtet. Ich ahnte Böses. Ich stieg also um 14 Uhr in meinen Wagen und fuhr Richtung Hamburg. Unterwegs rief ich Biggi an, die sich auch schon auf den Weg gemacht hatte. Um 19:30 Uhr sollte die Feier beginnen, das würde ich locker schaffen.

Von wegen, denn um 16 Uhr stand ich im Stau und es ging nichts mehr. Ich spürte meine Blase und es gab keine Toilette in der Nähe. Es war bombenheiß und das im Oktober. Um 17 Uhr rief mich Biggi an, sie sei gleich da und fragte, ob ich auch schon da sei. Ich lachte: „»Nein , kann noch nicht mal den Tunnel sehen. Stehe mitten im Stau und drehe gleich durch!“«
Sie beruhigte mich und wir schätzten, dass ich gegen 18 Uhr im Hotel sein würde. Mein Handy piepte, eine SMS. Ich wusste, dass die von Frank sein und er absagen würde. Und so kam es dann auch.

„»Hi Süsse, ich werde heute nicht nach Hamburg kommen, mir geht es nicht gut und ich muss noch eine Menge überlegen. Wünsche dir viel Spaß, denk an dich und awg“«(alles wird gut)!

Ich warf das Handy auf den Beifahrersitz und fing an zu pöbeln, und es war mir egal, was der Typ neben mir im Wagen dachte. Ich drehte die Musik lauter und bekam mich nicht wieder ein. Dann beschloss ich, an der nächsten Abfahrt raus zu fahren, irgendwo eine Toilette zu suchen und dann wieder Richtung Heimat. Mir war die Freude auf die Feier vergangen, ich wollte alleine sein und mich betrinken. Ich nahm mein Handy, schrieb Biggi eine SMS und versuchte dann krampfhaft, auf die rechte Spur zu kommen. Aber es ließ mich niemand durch, hatten alle Angst, dass sie noch länger im Stau stehen mussten? Es dauerte nach dem Absenden der SMS keine Minute, da klingelte mein Handy. Ich nahm ab und: „»Sag mal, spinnst du jetzt? Du wirst ja wohl weiterfahren. Wir warten hier auf dich, egal, wie lange es dauert. Hast du verstanden? Du hast doch morgen Geburtstag, wir wollen mit dir reinfeiern und das wird nicht gehen, wenn du wieder nach Hause fährst. Was ist denn mit dir los, Chiara?!«

Biggi klang besorgt. Ich sagte ihr, dass ich weiterfahren würde, obwohl ich keine Lust mehr hatte und alles dafür tun würde, mit einem Knall zu Haus zu sein, in meinen vier Wänden.

Um 18 Uhr 30 fuhr ich auf den Parkplatz des Hotels und Biggi saß auf ihrem Wagen und hatte tatsächlich gewartet. Sie nahm mich in den Arm und drückte mich, das tat gut. Es ist doch schön, so eine Freundin zu haben. Wir gingen zusammen ins Hotelzimmer und machten uns fertig.

Ich weiß nicht wie, aber wir hatten es geschafft, vier Leute (davon war eine Person männlich) in einem Einbettzimmer salonfähig zu machen, inkl. Perücke und das in einer ¾ Stunde. Wir warfen alle noch schnell einen Blick in den Spiegel und los ging es.

Die Feier fand im alten Museum in Hamburg statt und die Firma scheute keine Kosten, so wie das hier aussah! Fast wie eine Filmkulisse … Im Salon angekommen, wurden wir schon von unserem Noch-Gebietsdirektor begrüßt. Ich glaube, zu diesem Zeitpunkt wussten nur wenige, dass er bald gehen würde. Ich sah ihn an und er mich und ich spürte, dass er wusste, was ich weiß. Ich lächelte und ging weiter. Ich traf John, er sah umwerfend aus. Ja, wenn er nicht schon vergeben wäre ... aber leider war er es. Er nahm mich zu Begrüßung in den Arm, völlig untypisch für ihn und mich. Wir gaben uns nicht mal die Hand, wir hatten beide immer darauf geachtet, dass wir einen Sicherheitsabstand einhielten. Er sah mich von oben bis unten an und lächelte: “»Klasse, sieht toll aus. So was solltest du mal im Büro tragen!“« Dann zwinkerte er mir zu … ich lächelte und ging weiter zu Biggi.
Sie stand mit Martin und einigen anderen zusammen und unterhielt sich. Ich fühlte mich nicht wohl, wollte noch immer nach Haus. Ich setzte mich etwas abseits des Geschehens und beobachtete die Leute um mich herum. Ich fragte mich, was ich hier tat. Warum war ich hier? Dann wurden wir aufgefordert, uns an unsere Tische zu setzen. Wir betraten einen riesigen Saal. Die Tische waren alle in hellen, schweren Tüchern eingehüllt. Große Kerzenleuchter standen auf den Tischen und es war festlich gedeckt. Eine Jazz-Kappelle spielte leise im Hintergrund … wir staunten und waren alle begeistert.

Ich saß mit John und Martin an einem Tisch. Ohne dass ich es bemerkte, kippte ich mir den Wein rein. John sah mich fragend an, sagte aber nichts. Martin hatte wieder seinen mahnenden Blick, und ich wusste ganz genau, was die Stunde geschlagen hatte. Während des Essens unterhielten wir uns und lachten viel. Ich natürlich auch, wurde durch den Wein ja immer lustiger. Wir erzählten, wie wir versuchten uns in die engen Kleider zu pressen. Aus irgendeinem Grund sagte ich zum Kollegen, dass ich dicke Bäuche nicht mochte, weder bei Frauen noch bei Männern. Diesen Satz hatte ich noch nicht zu Ende gesprochen, da rief Martin quer über den Tisch:“ »Chiara, es kann sich nicht jeder eine Bauch OP leisten!“« Und dabei sah er mich sehr wütend an. Ich sagte nichts, stand auf und ging zum Tresen:“ »Einen doppelten Wodka bitte!“«

Ich setzte das Glas an und kippte den Inhalt komplett in mich hinein. Drehte mich um und bestellte noch einen. Der Tresen füllte sich langsam, nach dem guten Essen brauchte man nun einen Verteiler. Es kamen einige Kollegen auf mich zu und begrüßten mich, man hielt Smalltalk, was mir gar nicht lag. Ich hasste überflüssiges Gerede, aber ich ließ es über mich ergehen.
Ich lächelte höflich und unterhielt mich über die neuen Produkte und die Zielsetzung für 2004. In meinem Kopf saß Frank, was er jetzt wohl machte? Ob er mal an mich dachte? Ich merkte, dass ich traurig wurde und mir die Tränen in die Augen schossen. Da sah ich Jan auf mich zukommen. Er war in Franks Team. Er lächelte und umarmte mich. „»Hallo, na, wie geht es dir? Alles klar? Hast du was von meinem Chef gehört? Er soll wohl heute Mittag erst abgesagt haben, weil er krank sei.“«
Ich nickte. „»Ja, das habe ich auch gehört. Was hat er denn?“«
„»Du, keine Ahnung, vielleicht einfach nur keine Lust?“« Ich unterhielt mich noch ne Weile mit Jan und ging dann los und suchte Biggi. Manno, mir war gar nicht gut. Der Wein und der Wodka machten sich bemerkbar. Ich ging ganz langsam wieder zurück zum Tisch, an dem Biggi auch noch saß.

Sie sah mich verwundert an: „»Sag mal, was hast du denn gemacht? Bist du irre? Du kannst dir doch hier nicht so die Kanne geben, spinnst du?“«
Ich mochte sie gar nicht ansehen, davon ab wäre ich auch nicht mehr in der Lage gewesen, überhaupt nur ein bisschen geradeaus zu gucken! Ich setzte mich zu ihr: „»Weißt du, Biggi, isch weisch auch nisch, wasch hier los ist. Habe nicht viel getrunken, hicks, der Wodka ist hier richtig gut. Außerdem wolltest du auf misch aufpaschen.“«
Sie lachte und sagte: „»Sehr witzig, wie soll ich das machen, wenn du ständig unterwegs bist? Du bleibst jetzt hier!“«

Wie ein kleines Kind saß ich brav neben ihr, während man mich mit Wasser und Kaffee abfüllte. Martin war auch unterwegs und begrüßte seine Kollegen. Nach einer Weile saß er wieder an unserem Tisch, er sah mich nicht mal an. Dass ich am Tisch saß wie ein Heimkind, gefiel ihm überhaupt nicht. Er sah kurz rüber und schüttelte den Kopf.

Irgendwann konnte ich einigermaßen geradeaus gucken und ich ging zum Tanzen. Aber das half auch nicht gegen meinen Schmerz im Herz. Also torkelte ich wieder Richtung Tresen, musste mich betäuben. Mit meiner Medizin bewaffnet schlenderte ich durch den Saal. Unterwegs traf ich John, der sich angeregt mit einem Kollegen unterhielt. Ich platze einfach in das Gespräch und hielt mich krampfhaft an Johns Schulter fest, sonst wäre ich umgefallen.

Er lächelte mich wieder an und fragte:“ »Na, alles frisch?“«
Ich nickte. Nach einiger Zeit ging ich weiter. So verging der ganze Abend, bis es ruhig wurde im Saal. Die Kapelle hatte aufgehört zu spielen und die Leute versammelten sich um die Bühne herum. Als unser Gebietsdirektor auf die Bühne ging, wurde geklatscht und gewartet, was nun passieren würde.

Na klar. Die Ehrung hatte ich ganz verdrängt! Es wurden die Helden aufgerufen inkl. meinem John und meiner Biggi. Ich stand etwas abseits und war mächtig stolz auf die beiden. Nach der Ehrung wurde eine Kollegin aufgerufen, die dann strahlend auf die Bühne ging. Man gratulierte ihr nachträglich zum Geburtstag.

Dann dröhnte aus den Lautsprechern:“ »Ja und dann haben wir heute ja noch ein Geburtstagskind unter uns. Unsere liebe Chiara, die vor 5 Minuten 30 Jahre jung geworden ist.“«
Mir stockte der Atem und ich war auf einen Schlag „»fast“« nüchtern. Ein lauter Applaus dröhnte durch den Saal und man wartete nun darauf, dass ich lächelnd aus der Menge hervortrat.

Das mit dem Lächeln würde ich ja vielleicht noch hinbekommen, aber der Rest. Ohje, das gibt Ärger. Ich versuchte gerade und stolz die Bühne anzupeilen. Ich setzte schnell noch ein Lächeln auf und steuerte die Treppe an. Die Treppe grinste mich an und sagte leise:
„»Komm doch, du wirst gleich fallen. Deine Absätze sind viel zu hoch und der Wodka rotiert in deinem Körper.“« Ich setzte den Fuß gekonnt auf die erste Stufe, sah mich um und sah Biggi und Martin, beide die Augen weit aufgerissen. Ich lächelte und griff nach der Hand, die man mir reichte. Ich bekam einen Strauß Blumen und bedankte mich nett und freundlich. Nach einigen Minuten war die Show zu Ende und ich stürmte auf den Tresen zu. Auf diesen Schreck brauchte ich einen Wodka. Im Spiegel, der am Tresen hing, konnte ich sehen, dass Martin auf mich zusteuerte. Er nahm mich kurz in den Arm und gratulierte mir. Danach ging er auch gleich wieder. Ich wusste Bescheid, er war stinksauer. Und irgendwie konnte ich das verstehen.

Irgendwann gegen Morgen fuhr ich mit dem Taxi ins Hotel. Ich holte meinen Schlüssel ab und kletterte die Stufen hoch. Hinter mir hörte ich eine Stimme: „»Ach, Frau Matun, das wurde für sie abgegeben.“«
Ein kleines Päckchen wurde mir überreicht. Im Zimmer angekommen, sah ich erst auf mein Handy, keine Nachricht. Frank hatte mir nicht mal zum Geburtstag gratuliert. Ich setzte mich aufs Bett und öffnete das Geschenk. Es waren Ohrringe, sogar sehr schöne. Ich las dann die Karte:

„»Liebe Chiara, zu deinem Geburtstag heute alles erdenklich Gute, viel Glück und Gesundheit. Sei lieb umarmt und sanft geküsst, dein Martin!“«

Ich legte die Ohrringe auf meinen Nachtisch, mich aufs Bett und schlief dann irgendwann ein.

Am nächsten Morgen wachte ich mit einem fiesen Kater auf. Ich sah als erstes auf mein Handy, aber wieder keine Nachricht.
Ich war traurig, sauer und enttäuscht. Ich fragte mich immer öfter, ob ich mir den Frank nur einbildete und es ihn in Wirklichkeit gar nicht gab …
Nachdem ich mich einigermaßen hergerichtet hatte, machte ich mich auf den Weg nach Flensburg, um meine Schwester abzuholen. Wir wollten zusammen meinen Geburtstag feiern.

Nach fast vier Stunden auf der Autobahn und mit meiner Schwester im Gepäck, fuhr ich meine Auffahrt hoch … ich traute meinen Augen nicht. Meine kompletten Fenster waren mit bunter Farbe bemalt und überall war die Zahl „»30“« zu sehen. Na klasse, wer macht denn so was? Nun wusste das ganze Dorf, dass ich zu den alten Schachteln gehörte.

Ich war so froh, dass meine Schwester da war. Ich umarmte sie und wollte sie nicht mehr loslassen. Das war mein bestes Geschenk, denn wir hatten sieben Jahre keinen Kontakt und durch einen Zufall hatten wir uns Flensburg in einer Kneipe wieder gesehen, als ich mit Frank unterwegs war.

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